«Vergib, bevor die Sonne untergeht.»
— Hawaiianisches Sprichwort
Nein, der Titel dieses Blogbeitrages ist nicht durch wildes Tastentippen entstanden, obwohl man das zurecht annehmen mag, wenn man diesen Buchstabensalat das erste mal betrachtet. Eigentlich ist das Wort gar nicht mal so schwer auszusprechen, wenn man den Dreh raus hat: Ho’o-pono-pono. Die folgenden Zeilen sollen Licht ins Dunkle dessen bringen, was hinter diesem exotischen Begriff steckt.
Ho’oponopono ist ein hawaiianisches Vergebungsritual, welches darauf abzielt, Beziehungskonflikte jeglicher Art zu klären. Es bedeutet sinngemäß so viel wie „die Dinge wieder richtig stellen" und diente ursprünglich als eine Art Familientherapie. Da alles auf bestimmte Weise miteinander in Beziehung steht und Konflikte fast immer Beziehungsprobleme sind, gibt es heutzutage verschiedene Arten des Ho’oponopono, die jeweils an das Anwendungsfeld angepasst sind (z.B. in Beruf, Beziehung, Familie, Schule etc.). Nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit dem Thema ‚Inneres Kind‘ lassen sich durch Ho’oponopono seelische Heilungserfolge erzielen. Denn wie wir bereits erörterten (siehe unseren Blogbeitrag mit dem Titel ‚Das innere Kind‘), sind viele unserer Schatten als Erwachsene auf unser verletztes inneres Kind zurückzuführen. So schreibt der Autor Ulrich Emil Duprée in seinem Buch ‚Ho’oponopono — Das hawaiianische Vergebungsritual’: „Verletzt ist nicht der Erwachsene, das rationale Wachbewusstsein, sondern das sogenannte Innere Kind, Ihr fühlendes Selbst. Unser Inneres Kind fühlt sich unsicher und ungeliebt.“ Um diese Verletzung zu heilen, bedarf es meist einer Art Versöhnung mit seinem kindlichen Ich und einer gegenseitigen Liebesbekundung. Aber auch die Vergebung der Taten von Erwachsenen, allen voran den eigenen Eltern, die für die traumatischen Ereignisse im Kindesalter verantwortlich waren, kann die schmerzlichen Wunden heilen und die aufgewühlte Gefühlswelt besänftigen.
Was hätte ich an deiner Stelle getan?
Das Vergebungsritual des Ho’oponopono lässt sich auf diese vier Elemente reduzieren: „Es tut mir leid. Bitte verzeihe mir. Ich liebe dich. Danke.“ Dabei geht es vor allem um die Übernahme von Verantwortung in einem Konflikt — egal, ob man Opfer oder Täter im herkömmlichen Sinne ist oder die Verantwortlichkeit objektiv nicht klar ist. Duprée hält fest: „Man sucht nicht mehr die Schuld beim anderen, sondern arbeitet an der Bereinigung der eigenen Schatten.“ Die Absicht ist, den Konfliktpartner als Spiegel für die eigenen destruktiven Taten zu erachten, die eigene Fehlbarkeit anzuerkennen und primär die persönlichen Baustellen zu bearbeiten. Eine ebenso zentrale Rolle spielt das Einfühlungsvermögen, da jeder der Beteiligten dazu angehalten ist, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen und zu überlegen, warum der Mensch auf diese bestimmte Weise gehandelt hat, welche den Konflikt verursachte. Dadurch wird das Verständnis vergrößert, welches man für sein eigenes Persönlichkeitswachstum benötigt. Zugleich weicht dies die verhärteten Fronten auf.
Die vier Schritte
Die Sätze „Es tut mir leid. Bitte verzeihe mir. Ich liebe dich. Danke“ repräsentieren die vier Schritte des Ho’oponopono namens Pule, Mahiki, Mihi und Kalana. Pule ist die Verbindung mit der Urquelle und den Ahnen, indem ich anerkenne, dass auch ich schonmal Negatives in diese Welt gebracht habe, was für meine Mitmenschen inkl. meines Gegenübers nachteilig war oder ist, da wir alle auf eine Art miteinander verbunden sind — sogar transgenerational. Dafür spreche ich mein Bedauern aus. Anschließend folgt Mahiki, die Diskussionsphase und das Finden aller Anteile am Problem, auch und vor allem meiner eigenen. Mihi ist das wechselseitige Entschulden, Verzeihen und Vergeben. Ich bitte um Verzeihung für meine vergangenen Taten. Im Umkehrschluss verzeihe ich aber auch meinem Gegenüber. Kalana beinhaltet das Loslassen, den Dank und das Schlussgebet. „Ich liebe dich“ meint: Ich bin in vollumfänglicher Liebe zu dir, zu mir und zu allem, was ist. Ich erkenne, dass Liebe die treibende Kraft hinter dem Universum ist und dass sich aus jeder Situation etwas Positives mitnehmen lässt. Schlussendlich spreche ich meine Dankbarkeit für die vorangegangenen Erkenntnisse aus, für die Lernerfahrung, die daraus resultierende Transformation und dass mein Gegenüber mir dies ermöglicht hat. Ich erkenne mit dem Wort ‚Danke‘ an, dass ich durch den Prozess etwas erhalten habe.
Die Balance ist entscheidend
Beim Ho’oponopono wird zwar die eigene Verantwortung an einem Konflikt in den Vordergrund gerückt, doch dies in einem gesunden Rahmen. Es ist sehr wichtig zu betonen: Vergebung soll kein Unrecht zu Recht machen und die Übernahme von Verantwortung darf nicht mit einem Schuldeingeständnis verwechselt werden! Ho’oponopono ist kein krankhaftes Sich-selbst-die-Schuld-Geben. Die Verantwortung für eine Verletzung kann sehr wohl bei Außenstehenden liegen. Es geht lediglich darum, die Verantwortung für die Heilung zu übernehmen, sich die Macht über sein eigenes Schicksal zurückzuholen und aufzuhören, in Selbstmitleid zu versinken. Dadurch wird stets auch der negative Bund zum Täter oder einer anders unangenehm in Erinnerung gebliebenen Person aufgelöst, weil ein Loslassen stattfindet. Das Vergebungsritual des Ho’oponopono befähigt dich, die Vergangenheit abzuschließen und verantwortlich und in (Selbst-)Liebe der Zukunft entgegenzutreten. Ganz im Sinne des eingangs zitierten hawaiianischen Sprichwortes gilt daher: Vergib noch heute, bevor die Sonne untergeht — und zwar dir und anderen.