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Ayahuasca — Die Liane der Seelen

«Es gibt unzählige Möglichkeiten, sich selbst herauszufordern. Manche Menschen besteigen dafür einen Berg oder gehen tauchen. Die tiefgreifendste und anspruchsvollste Feuerprobe ist das Trinken von Ayahuasca. Es ist in gewisser Weise das ultimative Abenteuer.»

—  Graham Hancock

Über das, wovon die folgenden Zeilen handeln, erzählen diejenigen, die persönliche Erfahrungen damit gemacht haben, dass es sich mit den Worten der menschlichen Sprache gar nicht beschreiben lässt, da es das Erlebte viel zu sehr begrenzt und abstrahiert. Dies gilt es also im Hinterkopf zu behalten, wenn im Folgenden versucht wird, etwas Unbeschreibliches zu beschreiben. Die Rede ist von Ayahuasca. Dies ist der Name eines Getränkes, welches von indigenen Völkern des Amazonas-Regenwaldes in Südamerika seit vermutlich bereits vielen Jahrhunderten, wenn nicht noch länger, als ganzheitliche Naturmedizin verwendet wird, um körperliche und seelische Erkrankungen zu behandeln und spirituelle Krisen zu bearbeiten. Am weitesten verbreitet ist Ayahuasca heute in Kolumbien, Ecuador, Peru und Brasilien. Das Wort bedeutet übersetzt soviel wie Liane der Seelen oder Ranke der Geister und trägt im Spanischen unter anderem auch den Namen Mutter Aya. Dies deutet darauf hin, dass die Kraft hinter Ayahuasca femininer Natur ist und das Prinzip der Fürsorge widerspiegelt. Doch schauen wir uns zuerst an, was Ayahuasca genau ist und wie es verwendet wird.

Geschmacklich pfui, anschließend hui

Ayahuasca ist ein Gebräu der indigenen Völker Amazoniens, welches eine potenziell stark psychedelische Wirkung hat. Sein Geschmack wird als scheußlich beschrieben, doch ist dies ein unbedeutender Aspekt für die Konsumenten. Denn der Sud wird aus zwei unterschiedlichen Pflanzen gewonnen, deren Eigenschaften sich so ergänzen, dass Ayahuasca seine faszinierende Kraft entfalten kann. Zum einen enthält es eine Liane mit dem Namen Banisteriopsis caapi und zum anderen die Blätter des Kaffeestrauchgewächses Psychotria viridis. Bedeutsam sind die Inhaltsstoffe der beiden Pflanzen: Die Liane enthält als sog. MAO-Hemmer wirkende Stoffe. Diese blockieren Monoaminooxidase-Enzyme im menschlichen Körper, die für den Abbau von Monoaminen wie Serotonin, Noradrenalin und Dopamin verantwortlich sind. Dadurch kommt es zu einem Anstieg dieser zuletzt genannten Stoffe im Körper. Die Blätter des Kaffeestrauchgewächses wiederum enthalten das Halluzinogen N,N-Dimethyltryptamin, vor allem als DMT bekannt. Die zuvor genannten MAO-Hemmer verlangsamen im Zusammenspiel den Abbau jenes DMT, wodurch eine zumeist etwa sechsstündige halluzinogene Wirkung durch das Trinken von Ayahuasca verursacht wird. Interessanterweise deuten Forschungsergebnisse darauf hin, dass DMT auch ein körpereigener Stoff ist. Ohne MAO-Hemmer jedoch wird es normalerweise umgehend abgebaut. Einzig in unmittelbarer zeitlicher Nähe des Todes scheint eine verstärkte Ausschüttung von DMT aufzutreten, die womöglich die Erfahrung des Sterbeprozesses verschönern soll. Erwähnenswert ist des Weiteren, dass der menschliche Körper gegenüber DMT im Gegensatz zu anderen Psychedelika wie LSD keine Toleranz aufbaut, und dass DMT die Neuroplastizität fördert, sprich die Synapsen und neuronalen Verbindungen im Hirn anregt, neue Bahnen auszubauen. Dies zeigten zumindest Versuche an Ratten und Fliegen.

Die zeremonielle Einnahme

Genug der abstrakten Informationen über die Wirkstoffe von Ayahuasca. Denn das, was im Rahmen der Zeremonie nach dem Trinken des Gebräus passiert, verlässt sowieso jegliche rational erklärbare Ebene — so berichten es zumindest die allermeisten der Konsumenten. Wie eingangs beschrieben, wird Ayahuasca als eine Art ganzheitliche Medizin verwendet. Doch vor der Einnahme gibt es einiges zu beachten. So sollte man mindestens eine, wenn nicht gar bis zu vier Wochen davor beginnen, seine Ernährung auf eine reinigende Diät umzustellen. Es sollte sich um eine gesunde, vornehmlich pflanzliche Ernährung handeln, um den Körper von Giftstoffen zu befreien. Ansonsten kann es sein, dass das Ayahuasca die ganze Zeit über lediglich die Toxine aus dem Körper befördert, und das volle Potenzial somit nicht ausgeschöpft werden kann. Ebenfalls etwa einen Monat vorher empfiehlt es sich, Meditation zu praktizieren, um eine stabilere Verbindung zu seiner eigenen Innenwelt aufzubauen und auch zu lernen, das Ego beruhigen zu können bzw. sich daran zu gewöhnen, die eigenen Gedanken und Emotionen klarer zu erleben und zu konfrontieren. All dies kann während der Zeremonie sehr erforderlich sein, weshalb es die Erfahrung verbessern kann, wenn man damit nicht überfordert wird. Auch auf Sex soll einige Zeit davor verzichtet werden.

Ayahuasca ist eine Form der (spirituellen) Reinigung. Bei den meisten wirkt es daher abführend und manifestiert sich dadurch, dass die Konsumenten sich intensiv übergeben müssen, weshalb eine Schüssel zur Grundausstattung während einer Zeremonie gehört, oder sogar Durchfall bekommen. Diese Wirkung ist beabsichtigt, da somit Belastungen auf körperlicher sowie seelischer Ebene abgelegt werden können. Es kann jedoch auch vorkommen, dass keine abführende Wirkung auftritt. Nach einiger Zeit beginnt dann die bewusstseinserweiternde Wirkung — bei einigen früher, bei anderen später, bei wenigen hingegen gar nicht. Die Wirkung ist bei allen Menschen sehr unterschiedlich und hängt von unzähligen Faktoren ab, wovon viele in der seelisch-emotionalen Ebene begründet sind. Man sagt, dass es sein kann, dass bei einigen Menschen dutzende Male gar keine Wirkung spürbar ist, aber dann plötzlich bei der nächsten Zeremonie ein alles veränderndes psychedelisches Erlebnis auftritt. Man kann zwar mit einer bestimmten Intention in die Zeremonie gehen, also z.B. mit dem Wunsch, Heilung zu erfahren oder Antworten auf bestimmte Fragen zu erhalten — und dies dann auch erfahren. Doch Mutter Aya gibt jedem genau das Richtige zur rechten Zeit, so heißt es. Demnach ist auch die Einnahme von Ayahuasca nichts anderes als Schattenarbeit, da die Konfrontation mit unangenehmen Aspekten stattfindet, wenn dies für die persönliche Entwicklung notwendig ist. Diese Erlebnisse können sehr intensiv sein. Doch auch von der Erfahrung unbändiger Liebe, Dankbarkeit oder Demut sprechen viele. Oft gehen die Konsumenten mit einem größeren Bewusstsein für die eigene Gefühlswelt und die der Mitmenschen aus der Zeremonie, mit einem Gefühl der Verbundenheit zur Natur, Tieren und Menschen, mit geheilten Wunden vergangener Traumata. Das ist insofern kein Wunder, als dass die indigenen Völker Südamerikas Ayahuasca schon seit unzähligen Generationen zur Heilung persönlicher, aber auch zwischenmenschlicher und gemeinschaftlicher Konflikte verwenden. Es ist ganz so, als wird mittels einer Ayahuasca-Zeremonie das Universum als Heiler, Schlichter oder Ratgeber herangezogen.

Keine Partydroge, sondern harte Arbeit

Derartige Ayahuasca-Zeremonien gewannen in den letzten Jahren zunehmend an Beliebtheit und werden heutzutage für ausländische Interessierte meistens in eigens eingerichteten Zentren in vielen Ländern Mittel- und Südamerikas abgehalten, in deren Rahmen lokale Schamanen praktizieren. Sowieso ist dringend dazu geraten, Ayahuasca ausschließlich in einem solchen Umfeld und mit Begleitung eines erfahrenen Schamanen zu konsumieren. Die Wirkung kann sehr intensiv sein und über das hinausgehen, was die meisten Menschen begreifen können. Ohne hierfür einen modern-wissenschaftlichen Beleg anführen zu können, zeigen die Erklärungen der Schamanen selbst und die Erfahrung unzähliger Konsumenten, dass im Rahmen der Zeremonien Dinge geschehen bzw. erlebt werden, die nicht materiell-grobstofflich oder rational geschweige denn mit den in ihrer Wahrnehmungskapazität beschränkten fünf Sinnen erfasst werden können, und sich daher der Beobachtung durch herkömmliche, reproduzier- und falsifizierbare Versuchsanordnungen entziehen (was nicht zwangsläufig bedeutet, dass sie nicht tatsächlich existent geschweige denn nur Einbildungen sind). Die Schamanen jedoch haben offenbar einen Zugang zu diesen Ebenen und können steuernd und schützend eingreifen. Auch die Intention des Schamanen soll mit in die Wirkung einfließen. Letztlich ist all dies auch der Sinn der Sache: Eine Ayahuasca-Zeremonie ist traditionell untrennbar verbunden mit der anleitenden und begleitenden Arbeit eines Schamanen, der heilende Tätigkeiten an den Konsumenten durchführt. Beispielhaft seien die Frauen der Shipibo-Indianer, eines in Peru ansässigen Stammes, angeführt. Sie tragen Röcke, die sie mit ganz bestimmten Mustern bemalt haben, die den Ayahuasca-Erfahrungen entstammen. Der Altamerikanist und Ethnologe Christian Rätsch, der sich wie kaum ein anderer Nicht-Indianer mit der Ayahuasca-Tradition auskennt und selber bereits an weit über hundert Zeremonien teilgenommen hat, erläutert dazu: „Wenn ich Ayahuasca trinke, dann sehe ich diese Muster überall. Sie fließen über alles, was ich angucke. Sie fließen durch mein Bewusstsein, durch mein Blut, durch meine Adern, durch alles. Und diese Muster sind gleichzeitig Gesänge. Die Shipibo-Frauen können diese Muster singen und damit tradieren und anderen deutlich machen. Wenn eine Frau singt, kann die andere das Muster sogar malen. Das ist wie eine Notenschrift. (…) Diese Muster fließen über den Körper des Menschen, wenn man Ayahuasca getrunken hat. Wenn diese Muster irgendwelche graphisch-geometrischen Störungen aufweisen, dann hat der Schamane den Punkt im Körper gefunden, wo eine Disharmonie zwischen Materie und Geist besteht. Und da greift er ein, […] zum Beispiel durch einen Gesang, der die Muster wieder zurechtrückt." Ein ausschweifender Kommentar zu diesen Aussagen erübrigt sich, da man Derartiges wohl selbst erleben muss, um es nachvollziehen zu können.

Wichtig ist zudem: Beachte unbedingt deine körperliche und psychische Gesundheit, bevor du dich zur Teilnahme an einer Zeremonie entscheidest. Es gibt bedeutende medizinische Kontraindikationen. Stimme dich unbedingt vorher mit einem Arzt ab. Es sollte generell von der Einnahme absehen werden, wenn man an einer psychischen Erkrankung leidet oder sich in medikamentöser Behandlung befindet. Falls es sich um einen verantwortungsvollen Anbieter handelt, wird dieser solche Informationen aber sicherlich von dir einholen. Der Vollständigkeit halber sei außerdem darauf hingewiesen, dass Besitz und Konsum des Wirkstoffes DMT in Deutschland gesetzlich verboten sind.

Ruft Mutter Aya nach dir?

An dieser Stelle sollen die Ausführungen zum Thema Ayahuasca ein Ende finden. Die wichtigsten und interessantesten Informationen dürften erläutert worden sein. Alles andere lässt sich, wie eingangs gesagt, sowieso nicht mit Worten beschreiben — man kann dies nur über ein persönliches Erlebnis in Erfahrung bringen. Es ist spannend zu beobachten, dass veränderte Bewusstseinszustände oft durch einen physischen Mechanismus induziert werden; beim holotropen Atmen durch die Atemtechnik und eine Veränderung des pH-Wertes im Blut, und bei Ayahuasca durch das Getränk, welches biochemische Prozesse in Gang setzt… Vielleicht fühlst du dich ja danach, die Wirkung dieses besonderen Getränkes aus dem Herzen des Amazonas-Urwaldes am eigenen Leib zu spüren. Doch beachte: Du musst dich wirklich bereit fühlen, mit den dunkelsten Schatten konfrontiert zu werden und die unbeschreiblichsten Dinge zu erleben, die unter Umständen dein gesamtes Leben auf den Kopf stellen — mit allem, was dazu gehört. Nähere dich diesem Thema mit größter Verantwortung und dem nötigen Respekt; Ayahuasca ist keine Partydroge, sondern die Kraft, die der Natur und dem Universum innewohnt. Es wartet eine körperlich, mental wie auch spirituell enorm herausfordernde Reise auf denjenigen, der dem abstoßenden Geschmack widerstehen kann. Überlege dir gut, ob du diese Reise antreten möchtest — denn: „You cannot unexperience the experienced!”

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